Eisenbahner
aktives Mitglied
Hallo und guten Tag Forum!
Mitten in der dunklen Jahreszeit tut es gut, Uhr und Kalender zurückzudrehen und an den vergangenen Kroatienurlaub zu denken. Gehen wir also zurück in den August 2011. Es soll wieder nach Istrien gehen, und zwar – wie immer – mit der Eisenbahn.
Fahrtbeginn Westfalen - Istrien
In Westfalen steigen wir also mittags in den Intercity Richtung Süddeutschland, um in München bequem den Nachtzug nach Rijeka zu erreichen. Gewählt haben wir nicht die inzwischen zur Standardverbindung gewordene Schnellfahrstrecke Köln – Frankfurt. Traditionell befahren wir am liebsten die schöne Strecke durch das Rheintal, mit vielen Kurven, mäßiger Geschwindigkeit und malerischen Aussichten auf die Burgen und Ruinen, auf Weinberge mit kleinen, stillen Wegen, zum Radfahren bestens geeignet (wir kommen aus der Fahrradstadt), und auf die kleinen Städtchen, die seit eh und je mit dem Strom und seinen Wasserständen leben. Schön, wenn man sich für die Anfahrt Zeit nehmen darf. Zeit: Das Luxusgut schlechthin. So gut geht es uns. Das Fahren wird unter dieser Voraussetzung zum Reisen. „Urlaub mit der Bahn ist Urlaub von Anfang an“, textete die Bundesbahn einst. Wie wahr. Erst später merken wir, dass „von Anfang an“ auch eines unserer Tiere ungeplant mitreist – versteckt im Rucksack: Fröschi, unser Hausfrosch, muss einen unbeobachteten Moment genutzt haben, um es sich zwischen Getränkeflaschen und Butterbroten bequem zu machen. Tach auch! Hoffentlich merkt der Schaffner nichts davon …
Fröschi, der blinde Passagier
Da die Reise individuell zusammengestellt ist, haben wir uns natürlich alle Zeit zum Umsteigen gegönnt, wo es nötig ist.
Der erste Umstieg ist in Frankfurt fällig. Warmes Wetter, geschäftiges Treiben. Reisende mit schweren Koffern, Flaschensammler bei ihrer Tour durch die Mülleimer, eine Managerin im Kostüm und mit Businessgepäck und Smartphone ausgestattet, eine Gruppe asiatischer Nachwuchsmusiker mit ihren Instrumenten. Und wir sitzen auf der Bahnsteigbank und schauen zu. Lautsprecherdurchsagen, kreischende Bremsen, piepsende Vögel, die dankbar jeden heruntergefallenen Krümel von Brötchen & Co aufpicken. Musik und Takt der Großstadt. Den Atem der alten Zeit spürt man beim Betrachten der Bahnhofshallen von 1888, die mit ihren Eisenträgerkonstruktionen mächtig und doch zugleich elegant wirken. Dazu tragen viele kleine Einzelelemente bei wie z.B. Zierrosetten.
Lok und Dach des Frankfurter Hauptbahnhofs
Detail mit Zierrosette (Bahnhofshalle Frankfurt Hbf)
Auf der Weiterfahrt von Frankfurt nach München geraten wir dann doch noch auf eine Schnellfahrstrecke und „fliegen auf Höhe Null“ (Text Bundesbahn vor vielen Jahren). Der Monitor im Waggon zeigt 300 km/h bei erstaunlich ruhiger Fahrt an. Trotzdem verlässt uns das subjektive Sicherheitsgefühl. Zudem ist der ständige Wechsel von Tunneln und Brücken oder Streckenabschnitten mit als Lärmschutz getarnten Graffiti-Wänden ermüdend für das Auge. Zu sehen gibt es wenig bis nichts. Schade. Aber gut, Münchener, die nach Frankfurt pendeln, werden das vielleicht anders sehen.
Ich wollte eigentlich nicht schneller als 140-160 km/h ...
In München bleibt uns wiederum sehr reichlich Übergangszeit. So können wir die teilweise wirklich virtuosen Konzerte von Straßenmusikern in der Innenstadt hören und genießen. Wir wussten noch noch gar nicht, dass Akkordeon viel mehr sein kann als „Schifferklavier“. Schön, dass Meister ihres Faches sich nicht zu schade sind, draußen zu spielen. Für den „gesparten“ Eintritt kaufen wir gerne eine CD der Musik, die wir soeben hörten.
Abfahrt nach Kroatien ist erst 23.44, daher verbleibt noch Zeit, nach dem Rückweg zum Bahnhof bei einer Hamburger-Braterei vorbeizuschauen, die sich selbst als König in dieser Disziplin wähnt. Essen kann man hier an Tischen im ersten Stockwerk in der Empfangshalle, so dass man das Verkehrsgeschehen gut im Blick hat. Wir sehen allerdings auch, dass während unseres Essens das Personal säckeweise den Müll der Einwegverpackungen beseitigt. Der Vorsatz ist besiegelt, beim nächsten warmen Gericht von Porzellan zu essen.
Etliche Minuten vor der Abfahrtszeit wird unser Zug bereitgestellt. Es sind eigentlich mehrere Züge, einige Wagen fahren nach Ungarn, einige nach Zagreb, und wir sind auf den Schlafwagen nach Rijeka gebucht und dankbar, dass wir uns in der Nacht richtig lang machen können unter der Bettdecke im Abteil. Fröschi hat natürlich als erstes sein – das nasse – Element entdeckt nimmt zunächst Waschbecken und Wasserhahn in Beschlag, bevor er unser Zähneputzen nutzt, um es sich im Bett bequem zu machen. Fahrkarten und Ausweise werden eingesammelt, so gibt es keine nächtlichen Kontrollen von deutschen, österreichischen oder slowenischen Beamten, wir können durchschlafen. Gute Nacht!
Unser Zug zum Ziel: Istrien!
Fröschi hat das nasse Element im Schlafwagenabteil gefunden, um ...
... bald darauf ein Bett für sich zu beanspruchen. So geht`s ja nicht!
Ljubljana: Ljubljanica mit drei Brücken und Franziskanerkirche. Die Stadt hat sich seit kommunistischer Zeit enorm herausgeputzt und ist definitiv einen Stoppover wert.
Am nächsten Morgen gegen 6.00 erreichen wir Ljubljana. Ein Blick aus dem Fenster zeigt bedeckten Himmel, aber immerhin Menschen im T-Shirt auf den Bahnsteigen. Aha. Also jedenfalls nicht kalt. Nach einem Kaffee plus Croissant steigen wir in Pivka in den Seebäderzug von Maribor nach Koper und Pula um. Im 1. Klasse-Waggon nach Pula sind zwar zwei Abteile ausgebaut worden, um Fahrradstandplätze einzurichten, trotzdem verbleibt eines der restlichen Abteile für uns. Und Fenster zum Öffnen. Na bitte.
Bahnhof Pivka: hier wird umgestiegen Richtung Istrien
Waggon gefunden: Ein Teil des Zuges fährt nach Koper, der andere nach Pula.
1. Klasse-Abteil nach Pula
1. Klasse Fahrradabteil nach Pula ...
Nach der Zugteilung in Hrpelje-Kozina fährt unser Zugteil mit vorgespannter Diesellok zunächst zum slowenischen Grenzbahnhof Rakitovec, wo direkt am Gleis ein kleines Rundhaus steht, dessen Steine zwar verfugt sind, das wegen seiner Form aber doch etwas an die istrischen Kazuns (Kazun = Häuschen aus (Feld-)Steinen, die ohne Bindematerial aufgeschichtet sind) erinnert. Eine Gruppe junger Erwachsener wird von der slowenischen Grenzpolizei aus dem Zug geholt, welcher ohne diese Gruppe weiterfährt. Etwas unangenehm für diese Touristen, denn der nächste Zug in Richtung Kroatien geht in 24 Stunden, der nächste in die Gegenrichtung in ca. 12 Stunden.
Slowenischer Grenzbahnhof Rakitovec
Aufregung am Zug. Rakitovec ist für eine Reisegruppe vorerst Endstation. Bitte aussteigen.
An ein Kazun erinnerndes Gebäude an der Ausfahrt Rakitovec.
Nun, wir dürfen weiter und die nun folgende Strecke genießen. Zunächst erreicht der Zug den kroatischen Grenzbahnhof Buzet. Von dort und von der hochgelegenen Strecke erhält man einen sehr reizvollen Blick ins Tal der Mirna und auf die Altstadt von Buzet, die dort wiederum auf einem Hügel thront. Schon von weitem zu sehen ist die Pfarrkirche Sv Marija (1784), die mit Gemälden im venezianischen Stil ausgestattet ist. Buzet verfügt außerdem über ein Regionalmuseum mit archäologischen Funden und ist vor allem Sitz der Favorit-Brauerei. Zudem trägt die Stadt auch – nach einem berühmten Gewächs im Umland – die Bezeichnung „Cita tartufo“ (Trüffelstadt).
Willkommen in Kroatien: Grenzbahnhof Buzet
Blick vom Bahnhof Buzet auf Berg Ucka.
Blick von der Bahnlinie Rakitovec-Buzet auf Altstadt Buzet
Die slowenische Lok wird in Buzet gegen eine kroatische Schwesterlok ausgetauscht.
Obgleich der Bahnhof Buzet vergleichsweise sehr hoch liegt, geht es bergwärts doch noch höher.
Weiter geht es bis zum außerplanmäßigen Halt „in“ der „kleinsten Stadt der Welt“, wie Hum u Istri sich nennt. Hum hat, grob geschätzt, zwischen 22 und 24 Einwohnern, der Bahnhof steht abgelegen in der Landschaft und besteht aus einem kleinen Wartehäuschen plus Bahnübergang, dem wir wohl unseren Stopp zu verdanken haben. Trotzdem ist Hum nicht uninteressant: Zunächst ist da der Umstand, dass die älteste Bewohnerin nicht nur 76 Jahre alt ist, sondern auch noch Mutter des Bürgermeisters (so zumindest Wikipedia). Die Glagoliter-Allee zwischen Hum und Roc als Denkmal verweist auf die Glagoliza, die älteste (kirchen-)slawische Schrift, die im neunten Jahrhundert entstand und hier noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Gebrauch war.
Zugfahrt durch Istrien: Waggons mit Fenstern zum Öffnen; an der Strecke: Telegrafenmasten
Außerplanmäßiger Halt in Hum
Bahnhof Hum u Istri
Missale Romanum 1483 in glagolitischer Schrift. In der Gegend von Hum wurde die Glagolitza noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gebraucht.
Dann passieren wir den Bahnhof Lupoglav, von dem eine Tunnelverbindung durch das Ucka-Gebirge nach Rijeka geplant war und bereits begonnen und wieder eingestellt wurde. So bleibt es zunächst bei einer Busverbindung von hier nach Rijeka. Im kleinen Bahnhofsgebäude stößt man auf einen stummen Zeugen der Vergangenheit: Auf dem Abfahrtplan ist noch zu erkennen, dass hier einmal – zu jugoslawischer Zeit – Züge durchfuhren bis nach Zagreb. Nun aber ist die istrische Bahnlinie bis Pula kroatische Inselbahn, denn sie ist nur über slowenisches Gebiet zu erreichen.
Bahnhof Lupoglav
Noch schwach zu erkennen auf der Abfahrtstafel: Ein Zug direkt nach Zagreb. Jugoslawische Geschichte.
So sah der Fahrplan "damals" noch aus, bevor Istrien zur kroatischen Bahninsel wurde: Direktverbindungen nach Belgrad und Zagreb.
Die Bushaltestelle der Kroatischen Eisenbahn HZ, die von Lupoglav nach Rijeka per Bus durch den Ucka-Tunnel fährt.
Den Zug nach Pula verlassen wir in Kanfanar, um von hier aus den Bus zu nehmen nach Rovinj, Perle der Adria, unseren Urlaubsort. Einst fuhr die Bahn bis nach Rovinj (www.rovinj-rails.de.ms), aber diese Strecke liegt seit Jahrzehnten still und im Dornröschenschlaf. Die Umsteigezeit ist wieder großzügig bemessen, wir können uns in Ruhe etwas am Bahnhof umschauen.
Zu sehen sind einige Funde bzw. Relikte aus der Vergangenheit. Besonders hervorzuheben ist dabei zunächst der heute noch sichtbare ehemalige Abzweig im Bahnhof Kanfanar/Burici nach Rovinj. Zum zweiten findet der Interessierte hier noch Reste des Formsignals, das einst den Zügen aus Rovinj die Einfahrt in den Bahnhof Kanfanar erlaubte. Passend zum Thema „Geschichte“ erscheinen sodann – drittens – die handbediente Schrankenanlage mit Läutwerk am Übergang Kanfanar/Burici sowie das noch in Funktion befindliche Flügelsignal, welches die Weiterfahrt Richtung Pula signalisiert.
Während wir den Blick über Gleise und Landschaft zur von hier aus schwach sichtbaren Adria schweifen lassen, wird unsere Aufmerksamkeit – viertens – auf die Schienen gelenkt, die hier verlegt sind, genauer gesagt: deren Walzzeichen. Eine „Untersuchung“ des (aktuell nicht genutzten) Stranges am Hausbahnsteig ergibt, dass die hier verlegten Schienen von 1914 stammen und im ehemaligen Schienenwalzwerk der damaligen Südbahngesellschaft in Graz gefertigt wurden. An anderer Stelle sind die verlegten Schienen noch zwei Jahre älter, diesmal aus dem Werk Leoben-Donawitz stammend. Die Franzenshütte in Donawitz entstand bereits 1837 und wurde 1881 Bestandteil der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft (OAMG). Die Hütte Donawitz mit über 2000 Arbeitern besteht noch heute, und zwar als größte Schienenfabrik Europas, wo mit 120 Metern die längsten Schienen der Welt hergestellt werden. Aber wir können noch ältere Schienen in Kanfanar finden, nämlich aus dem schon erwähnten Walzwerk Graz von 1897. Da die Strecke Pula – Divaca, an der wir hier stehen, 1876-1879 angelegt wurde, ebenso wie die Stichstrecke von hier aus nach Rovinj, können wir annehmen, dass wir es mit Schienen zu tun haben, die seinerzeit „original“ bei der dann vorauszusetzenden Erweiterung der Gleisanlagen in Kanfanar verwendet wurden. Auch so lebt die österreichische Geschichte in Istrien noch fort …
Bahnhof Kanfanar
An dieser Stelle zweigte die seit langem abgeklemmte Strecke von Kanfanar nach Rovinj ab.
Blick von der eben genannten Stelle auf Bahnhof und Gleisanlagen Kanfanar.
Handbediente Schranke mit Läutwerk in Kanfanar/Burici.
Formsignal (in Betrieb) an der nördlichen Bahnhofsausfahrt Kanfanar.
Alte Strecke von Rovinj mit Einfahrtssignal (Rest) vor Bahnhof Kanfanar.
Blick vom Bahnhof Kanfanar Richtung Adria.
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Nach diesen vier Funden steigen wir in den Bus, und als dieser Rovinjsko Selo passiert und unten am Meer Rovinj erstmals in Sicht kommt, möchte man fast laut ein „Halleluja“ rufen, oder auch ein „Jauchzet, frohlocket“, denn in Rovinj (wieder) anzukommen, das ist einfach – na ja wie Weihnachten eben!
Der Blick von Rovinjsko Selo nach Rovinj beschleunigt immer unseren Herzschlag. Endstation Sehnsucht.
Wir sind da!
Danke für das Interesse, weiter geht es demnächst evt. mit Teil 2 dieses Urlaubsberichtes:
Rovinj - Youngtimer in Old Town.
Bis dahin!
Gruß vom
Eisenbahner MS
Mit Dank an ELMA als Ergänzung hier die Zusammenstellung der Teile 1-6:
Teil 1
"Vier Funde und ein Halleluja" (Kroatien 2011, Nr. 1/6)
Teil 2
Rovinj: Youngtimer in Old Town (Kroatien 2011, Nr. 2/6)
Teil 3
"Im Heli in Mali" (Kroatien 2011, Nr. 3/6)
Teil 4
Was geschah auf der M/F LIBURNIJA?
Teil 5
Die rätselhaften Ruinen von Konavle
Teil 6
Rijeka: Wiedersehen mit der LIBURNIJA (Kroatien 2011, 6/6)
Mitten in der dunklen Jahreszeit tut es gut, Uhr und Kalender zurückzudrehen und an den vergangenen Kroatienurlaub zu denken. Gehen wir also zurück in den August 2011. Es soll wieder nach Istrien gehen, und zwar – wie immer – mit der Eisenbahn.
Fahrtbeginn Westfalen - Istrien
In Westfalen steigen wir also mittags in den Intercity Richtung Süddeutschland, um in München bequem den Nachtzug nach Rijeka zu erreichen. Gewählt haben wir nicht die inzwischen zur Standardverbindung gewordene Schnellfahrstrecke Köln – Frankfurt. Traditionell befahren wir am liebsten die schöne Strecke durch das Rheintal, mit vielen Kurven, mäßiger Geschwindigkeit und malerischen Aussichten auf die Burgen und Ruinen, auf Weinberge mit kleinen, stillen Wegen, zum Radfahren bestens geeignet (wir kommen aus der Fahrradstadt), und auf die kleinen Städtchen, die seit eh und je mit dem Strom und seinen Wasserständen leben. Schön, wenn man sich für die Anfahrt Zeit nehmen darf. Zeit: Das Luxusgut schlechthin. So gut geht es uns. Das Fahren wird unter dieser Voraussetzung zum Reisen. „Urlaub mit der Bahn ist Urlaub von Anfang an“, textete die Bundesbahn einst. Wie wahr. Erst später merken wir, dass „von Anfang an“ auch eines unserer Tiere ungeplant mitreist – versteckt im Rucksack: Fröschi, unser Hausfrosch, muss einen unbeobachteten Moment genutzt haben, um es sich zwischen Getränkeflaschen und Butterbroten bequem zu machen. Tach auch! Hoffentlich merkt der Schaffner nichts davon …
Fröschi, der blinde Passagier
Da die Reise individuell zusammengestellt ist, haben wir uns natürlich alle Zeit zum Umsteigen gegönnt, wo es nötig ist.
Der erste Umstieg ist in Frankfurt fällig. Warmes Wetter, geschäftiges Treiben. Reisende mit schweren Koffern, Flaschensammler bei ihrer Tour durch die Mülleimer, eine Managerin im Kostüm und mit Businessgepäck und Smartphone ausgestattet, eine Gruppe asiatischer Nachwuchsmusiker mit ihren Instrumenten. Und wir sitzen auf der Bahnsteigbank und schauen zu. Lautsprecherdurchsagen, kreischende Bremsen, piepsende Vögel, die dankbar jeden heruntergefallenen Krümel von Brötchen & Co aufpicken. Musik und Takt der Großstadt. Den Atem der alten Zeit spürt man beim Betrachten der Bahnhofshallen von 1888, die mit ihren Eisenträgerkonstruktionen mächtig und doch zugleich elegant wirken. Dazu tragen viele kleine Einzelelemente bei wie z.B. Zierrosetten.
Lok und Dach des Frankfurter Hauptbahnhofs
Detail mit Zierrosette (Bahnhofshalle Frankfurt Hbf)
Auf der Weiterfahrt von Frankfurt nach München geraten wir dann doch noch auf eine Schnellfahrstrecke und „fliegen auf Höhe Null“ (Text Bundesbahn vor vielen Jahren). Der Monitor im Waggon zeigt 300 km/h bei erstaunlich ruhiger Fahrt an. Trotzdem verlässt uns das subjektive Sicherheitsgefühl. Zudem ist der ständige Wechsel von Tunneln und Brücken oder Streckenabschnitten mit als Lärmschutz getarnten Graffiti-Wänden ermüdend für das Auge. Zu sehen gibt es wenig bis nichts. Schade. Aber gut, Münchener, die nach Frankfurt pendeln, werden das vielleicht anders sehen.
Ich wollte eigentlich nicht schneller als 140-160 km/h ...
In München bleibt uns wiederum sehr reichlich Übergangszeit. So können wir die teilweise wirklich virtuosen Konzerte von Straßenmusikern in der Innenstadt hören und genießen. Wir wussten noch noch gar nicht, dass Akkordeon viel mehr sein kann als „Schifferklavier“. Schön, dass Meister ihres Faches sich nicht zu schade sind, draußen zu spielen. Für den „gesparten“ Eintritt kaufen wir gerne eine CD der Musik, die wir soeben hörten.
Abfahrt nach Kroatien ist erst 23.44, daher verbleibt noch Zeit, nach dem Rückweg zum Bahnhof bei einer Hamburger-Braterei vorbeizuschauen, die sich selbst als König in dieser Disziplin wähnt. Essen kann man hier an Tischen im ersten Stockwerk in der Empfangshalle, so dass man das Verkehrsgeschehen gut im Blick hat. Wir sehen allerdings auch, dass während unseres Essens das Personal säckeweise den Müll der Einwegverpackungen beseitigt. Der Vorsatz ist besiegelt, beim nächsten warmen Gericht von Porzellan zu essen.
Etliche Minuten vor der Abfahrtszeit wird unser Zug bereitgestellt. Es sind eigentlich mehrere Züge, einige Wagen fahren nach Ungarn, einige nach Zagreb, und wir sind auf den Schlafwagen nach Rijeka gebucht und dankbar, dass wir uns in der Nacht richtig lang machen können unter der Bettdecke im Abteil. Fröschi hat natürlich als erstes sein – das nasse – Element entdeckt nimmt zunächst Waschbecken und Wasserhahn in Beschlag, bevor er unser Zähneputzen nutzt, um es sich im Bett bequem zu machen. Fahrkarten und Ausweise werden eingesammelt, so gibt es keine nächtlichen Kontrollen von deutschen, österreichischen oder slowenischen Beamten, wir können durchschlafen. Gute Nacht!
Unser Zug zum Ziel: Istrien!
Fröschi hat das nasse Element im Schlafwagenabteil gefunden, um ...
... bald darauf ein Bett für sich zu beanspruchen. So geht`s ja nicht!
Ljubljana: Ljubljanica mit drei Brücken und Franziskanerkirche. Die Stadt hat sich seit kommunistischer Zeit enorm herausgeputzt und ist definitiv einen Stoppover wert.
Am nächsten Morgen gegen 6.00 erreichen wir Ljubljana. Ein Blick aus dem Fenster zeigt bedeckten Himmel, aber immerhin Menschen im T-Shirt auf den Bahnsteigen. Aha. Also jedenfalls nicht kalt. Nach einem Kaffee plus Croissant steigen wir in Pivka in den Seebäderzug von Maribor nach Koper und Pula um. Im 1. Klasse-Waggon nach Pula sind zwar zwei Abteile ausgebaut worden, um Fahrradstandplätze einzurichten, trotzdem verbleibt eines der restlichen Abteile für uns. Und Fenster zum Öffnen. Na bitte.
Bahnhof Pivka: hier wird umgestiegen Richtung Istrien
Waggon gefunden: Ein Teil des Zuges fährt nach Koper, der andere nach Pula.
1. Klasse-Abteil nach Pula
1. Klasse Fahrradabteil nach Pula ...
Nach der Zugteilung in Hrpelje-Kozina fährt unser Zugteil mit vorgespannter Diesellok zunächst zum slowenischen Grenzbahnhof Rakitovec, wo direkt am Gleis ein kleines Rundhaus steht, dessen Steine zwar verfugt sind, das wegen seiner Form aber doch etwas an die istrischen Kazuns (Kazun = Häuschen aus (Feld-)Steinen, die ohne Bindematerial aufgeschichtet sind) erinnert. Eine Gruppe junger Erwachsener wird von der slowenischen Grenzpolizei aus dem Zug geholt, welcher ohne diese Gruppe weiterfährt. Etwas unangenehm für diese Touristen, denn der nächste Zug in Richtung Kroatien geht in 24 Stunden, der nächste in die Gegenrichtung in ca. 12 Stunden.
Slowenischer Grenzbahnhof Rakitovec
Aufregung am Zug. Rakitovec ist für eine Reisegruppe vorerst Endstation. Bitte aussteigen.
An ein Kazun erinnerndes Gebäude an der Ausfahrt Rakitovec.
Nun, wir dürfen weiter und die nun folgende Strecke genießen. Zunächst erreicht der Zug den kroatischen Grenzbahnhof Buzet. Von dort und von der hochgelegenen Strecke erhält man einen sehr reizvollen Blick ins Tal der Mirna und auf die Altstadt von Buzet, die dort wiederum auf einem Hügel thront. Schon von weitem zu sehen ist die Pfarrkirche Sv Marija (1784), die mit Gemälden im venezianischen Stil ausgestattet ist. Buzet verfügt außerdem über ein Regionalmuseum mit archäologischen Funden und ist vor allem Sitz der Favorit-Brauerei. Zudem trägt die Stadt auch – nach einem berühmten Gewächs im Umland – die Bezeichnung „Cita tartufo“ (Trüffelstadt).
Willkommen in Kroatien: Grenzbahnhof Buzet
Blick vom Bahnhof Buzet auf Berg Ucka.
Blick von der Bahnlinie Rakitovec-Buzet auf Altstadt Buzet
Die slowenische Lok wird in Buzet gegen eine kroatische Schwesterlok ausgetauscht.
Obgleich der Bahnhof Buzet vergleichsweise sehr hoch liegt, geht es bergwärts doch noch höher.
Weiter geht es bis zum außerplanmäßigen Halt „in“ der „kleinsten Stadt der Welt“, wie Hum u Istri sich nennt. Hum hat, grob geschätzt, zwischen 22 und 24 Einwohnern, der Bahnhof steht abgelegen in der Landschaft und besteht aus einem kleinen Wartehäuschen plus Bahnübergang, dem wir wohl unseren Stopp zu verdanken haben. Trotzdem ist Hum nicht uninteressant: Zunächst ist da der Umstand, dass die älteste Bewohnerin nicht nur 76 Jahre alt ist, sondern auch noch Mutter des Bürgermeisters (so zumindest Wikipedia). Die Glagoliter-Allee zwischen Hum und Roc als Denkmal verweist auf die Glagoliza, die älteste (kirchen-)slawische Schrift, die im neunten Jahrhundert entstand und hier noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Gebrauch war.
Zugfahrt durch Istrien: Waggons mit Fenstern zum Öffnen; an der Strecke: Telegrafenmasten
Außerplanmäßiger Halt in Hum
Bahnhof Hum u Istri
Missale Romanum 1483 in glagolitischer Schrift. In der Gegend von Hum wurde die Glagolitza noch bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts gebraucht.
Dann passieren wir den Bahnhof Lupoglav, von dem eine Tunnelverbindung durch das Ucka-Gebirge nach Rijeka geplant war und bereits begonnen und wieder eingestellt wurde. So bleibt es zunächst bei einer Busverbindung von hier nach Rijeka. Im kleinen Bahnhofsgebäude stößt man auf einen stummen Zeugen der Vergangenheit: Auf dem Abfahrtplan ist noch zu erkennen, dass hier einmal – zu jugoslawischer Zeit – Züge durchfuhren bis nach Zagreb. Nun aber ist die istrische Bahnlinie bis Pula kroatische Inselbahn, denn sie ist nur über slowenisches Gebiet zu erreichen.
Bahnhof Lupoglav
Noch schwach zu erkennen auf der Abfahrtstafel: Ein Zug direkt nach Zagreb. Jugoslawische Geschichte.
So sah der Fahrplan "damals" noch aus, bevor Istrien zur kroatischen Bahninsel wurde: Direktverbindungen nach Belgrad und Zagreb.
Die Bushaltestelle der Kroatischen Eisenbahn HZ, die von Lupoglav nach Rijeka per Bus durch den Ucka-Tunnel fährt.
Den Zug nach Pula verlassen wir in Kanfanar, um von hier aus den Bus zu nehmen nach Rovinj, Perle der Adria, unseren Urlaubsort. Einst fuhr die Bahn bis nach Rovinj (www.rovinj-rails.de.ms), aber diese Strecke liegt seit Jahrzehnten still und im Dornröschenschlaf. Die Umsteigezeit ist wieder großzügig bemessen, wir können uns in Ruhe etwas am Bahnhof umschauen.
Zu sehen sind einige Funde bzw. Relikte aus der Vergangenheit. Besonders hervorzuheben ist dabei zunächst der heute noch sichtbare ehemalige Abzweig im Bahnhof Kanfanar/Burici nach Rovinj. Zum zweiten findet der Interessierte hier noch Reste des Formsignals, das einst den Zügen aus Rovinj die Einfahrt in den Bahnhof Kanfanar erlaubte. Passend zum Thema „Geschichte“ erscheinen sodann – drittens – die handbediente Schrankenanlage mit Läutwerk am Übergang Kanfanar/Burici sowie das noch in Funktion befindliche Flügelsignal, welches die Weiterfahrt Richtung Pula signalisiert.
Während wir den Blick über Gleise und Landschaft zur von hier aus schwach sichtbaren Adria schweifen lassen, wird unsere Aufmerksamkeit – viertens – auf die Schienen gelenkt, die hier verlegt sind, genauer gesagt: deren Walzzeichen. Eine „Untersuchung“ des (aktuell nicht genutzten) Stranges am Hausbahnsteig ergibt, dass die hier verlegten Schienen von 1914 stammen und im ehemaligen Schienenwalzwerk der damaligen Südbahngesellschaft in Graz gefertigt wurden. An anderer Stelle sind die verlegten Schienen noch zwei Jahre älter, diesmal aus dem Werk Leoben-Donawitz stammend. Die Franzenshütte in Donawitz entstand bereits 1837 und wurde 1881 Bestandteil der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft (OAMG). Die Hütte Donawitz mit über 2000 Arbeitern besteht noch heute, und zwar als größte Schienenfabrik Europas, wo mit 120 Metern die längsten Schienen der Welt hergestellt werden. Aber wir können noch ältere Schienen in Kanfanar finden, nämlich aus dem schon erwähnten Walzwerk Graz von 1897. Da die Strecke Pula – Divaca, an der wir hier stehen, 1876-1879 angelegt wurde, ebenso wie die Stichstrecke von hier aus nach Rovinj, können wir annehmen, dass wir es mit Schienen zu tun haben, die seinerzeit „original“ bei der dann vorauszusetzenden Erweiterung der Gleisanlagen in Kanfanar verwendet wurden. Auch so lebt die österreichische Geschichte in Istrien noch fort …
Bahnhof Kanfanar
An dieser Stelle zweigte die seit langem abgeklemmte Strecke von Kanfanar nach Rovinj ab.
Blick von der eben genannten Stelle auf Bahnhof und Gleisanlagen Kanfanar.
Handbediente Schranke mit Läutwerk in Kanfanar/Burici.
Formsignal (in Betrieb) an der nördlichen Bahnhofsausfahrt Kanfanar.
Alte Strecke von Rovinj mit Einfahrtssignal (Rest) vor Bahnhof Kanfanar.
Blick vom Bahnhof Kanfanar Richtung Adria.
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Kanfanar: Schiene mit Walzzeichen
Nach diesen vier Funden steigen wir in den Bus, und als dieser Rovinjsko Selo passiert und unten am Meer Rovinj erstmals in Sicht kommt, möchte man fast laut ein „Halleluja“ rufen, oder auch ein „Jauchzet, frohlocket“, denn in Rovinj (wieder) anzukommen, das ist einfach – na ja wie Weihnachten eben!
Der Blick von Rovinjsko Selo nach Rovinj beschleunigt immer unseren Herzschlag. Endstation Sehnsucht.
Wir sind da!
Danke für das Interesse, weiter geht es demnächst evt. mit Teil 2 dieses Urlaubsberichtes:
Rovinj - Youngtimer in Old Town.
Bis dahin!
Gruß vom
Eisenbahner MS
Mit Dank an ELMA als Ergänzung hier die Zusammenstellung der Teile 1-6:
Teil 1
"Vier Funde und ein Halleluja" (Kroatien 2011, Nr. 1/6)
Teil 2
Rovinj: Youngtimer in Old Town (Kroatien 2011, Nr. 2/6)
Teil 3
"Im Heli in Mali" (Kroatien 2011, Nr. 3/6)
Teil 4
Was geschah auf der M/F LIBURNIJA?
Teil 5
Die rätselhaften Ruinen von Konavle
Teil 6
Rijeka: Wiedersehen mit der LIBURNIJA (Kroatien 2011, 6/6)